Uta und Ekkehard Ekkehard_und_Uta
      Uta lebte vor langer Zeit in einer anderen Stadt. Nun steht sie schon sieben Jahrhunderte lang im Chor des Domes.

      Als ich ein Kind war, bekam ich eine Ansichtskarte aus Naumburg die Uta darstellte. Ich befestigte die Karte mit einem Reißnagel an der Wand im Flur, so daß ich immer wenn ich ging oder kam, Utas sprödes Steingesicht sah.

      Später habe ich auch andere Bilder von Uta gesehen. Auf den einen ist Uta allein, auf anderen steht an ihrer Seite Ekkehard, ihr Gemahl. Zwischen den beiden, so scheint mirs tut sich ein tiefes, dauerhaftes Schweigen auf.

      Utas Gestalt, in einen Umhand geschlungen, ist stolz und reserviert. Sie hält die weite Kutte so unter dem Kinn fest, daß der Kragen beinahe bis an den Mund reicht. Darum betrachte ich Utas Mund nur verstohlen. Er ist wie ein Leiden, dessen sie sich schämt, oder wie ein zu intimer Körperteil. Er ist scheu und anmaßend, wie eine schöne Wunde, die sich hartnäckig verweigert.

      Die rechte Hand, die die Kutte hält, ist unter dieser nicht zu sehen. Dafür sind alle die schmalen Finger der linken Hand sichtbar, ganz leicht gespreizt. Auf dem Zeigefinger sitzt ein großer runder Ring, wohl ein Geschenk Ekkehards. Sie trägt ein weiteres Schmuckstück an ihrem sonst schlichten Gewand: eine Fibel an der linken Schulter, an der Kutte befestigst beinahe wie die an Ekkehards breiter Brust.

      Die Haare sieht man nicht; sie schützt eine heimartige Kopfbedeckung, auf die noch eine flache Krone gedrückt ist.

      Die Augen sehen einen nicht an. Die unteren Lider sind eine Spur zusammengekniffen, als ob sie etwas sähe, was ihr nicht eben behagte. Ganz recht: Eine feine Verachtung verleiht Utas Blick Schärfe, von Sanftmut und Ehrsamkeit so verhüllt, daß man sie nur mit Mühe wahrnimmt.

      Uta und Ekkehard. Sie sind die Stifter des Naumburger Domes, Würdenträger ihrer Stadt. Der unbekannte Meister, der Uta und Ekkehard in Stein gehauen hat, hat sie nie gesehen. Als ihre Bildnisse geschaffen wurden, hatten sie schon Jahrzehnte in den Grabgewölben unter diesem Wolkenkratzer geruht, der nicht mit menschlichem Maß erbaut wurde.

      Alles hier ist vertikal wie im Wald. Aber die leuchtenden Fensterrosetten erheben sich höher als Baumkronen. Wände gibt es nicht; nur Glas, Pfeiler, Schäfte - nur Gerüstwerk von Latten und Stäben, ein dünner Strich, der von Oktave zu Oktave aufsteigt.

      Nein, das ist kein Bauwerk, sondern ein aufragender Weg, ein aus Stein gewobenes Phantasiegebilde, größenwahnsinniger Traum einer Spinne.

      Wenig Materie, mehr Hoffnung. Und je höher die Lanzen der Türme sich recken, umso weiter weg scheuchen sie, was man nicht sieht.

      Zu ihren Füßen, mitten unter den verrenkten Pfeilern, steht Uta, Stein unter Steinen. Das Ausweichen der Augen, der zum Schutz des Gesichtes angehobene Kragen, der Mund, seit siebenhundert Jahren im Erbeben begriffen... Sie möchte sich vielleicht schon v on hier entfernen sich in den Schatten zurückziehen, verwittern und zerbröckeln.

      Uta vom Naumburger Dom. Gibt es ein zweites Standbild, das durch die Reglosigkeit seines Steins gleich unwiderleglich von der Wehrlosigkeit des menschlichen Körpers und dem Beben des Geistes zeugte?

      Leena Krohn

      Aus dem Finnischen von Ulrike Flacke-Karger

      Uta ja Ekkehard aus: Donna Quijote ja muita kaupunkilaisia, WSOY 1983 [Donna Quijote und andere Stadtbewohner. Porträts]. Porvoo: WSOY 1983.